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Es gibt in Deutschland, je nachdem wen man
zählt, rund 60–70 000 hauptberufliche Journa-
listen und 80 Millionen Einwohner. Die Jour-
nalisten machen also weniger als 0,1 Prozent
der Bevölkerung aus. Gleichzeitig beruhen die
meisten Vorstellungen, die wir in unseren Köp-
fen tragen, nicht auf unserer eigenen Beobach-
tung, sondern wurden uns irgendwann über die
Medien vermittelt. Ob der Wirtschaftsminister
einen guten Job macht, der Islam eine friedli-
che Religion ist oder Mexiko ein sicheres Reise-
land, wissen wir, weil wir darüber etwas in den
Medien gesehen oder gelesen haben. Da Jour-
nalisten wiederum bestimmen, was Medien
veröffentlichen, beeinflussen sie unser Denken.
Sie haben damit „Macht“, weil man nämlich in
der Sozialwissenschaft genau das unter dem
Begriff versteht.
Aber stellt dies ein Problem dar? Wir geben
auch den Lehrern Macht über unsere Kinder,
den Ärzten über unseren Körper und den Fi-
nanzberatern über unser Geld. Wir legitimieren
also bestimmte Berufe dazu, Macht über uns
auszuüben, weil wir damit eine Leistung erhal-
ten, die wir selbst so nicht erbringen könnten.
Was ist die Dienstleistung von Journalisten?
Die amerikanischen Autoren Barnhurst und
Owens haben die Entstehung des professionel-
len Journalismus damit erklärt, dass die Men-
schen irgendwann jemanden brauchten, der
ihnen Gerüchte von Wahrheiten unterscheidet.
Das ist ein guter Ansatzpunkt, um die Identität
des Berufs zu verstehen. Wir bezahlen Journa-
listen dafür, dass sie uns aus dem Meer der Fak-
ten, Ereignisse und Behauptungen diejenigen
herausfiltern, die wichtig, richtig und für alle
Bürger interessant sind.
Soweit das Ideal. Das Gros der Journalismus-
Forschung innerhalb der Kommunikations-
wissenschaft beschäftigt sich eigentlich damit,
dass diese Dienstleistung nicht so erfüllt wird,
wie es erwartet wird. Viele Inhaltsanalysen
in der Tradition der so genannten „Bias-For-
schung“ zeigen Verzerrungen zu Gunsten oder
Ungunsten eines bestimmten Standpunktes
bzw. einer Gruppe. Oder sie weisen in der Tradi-
tion des Framing-Ansatzes nach, dass Themen
in bestimmten Rahmungen dargeboten werden,
die die Wahrnehmung des Publikums beeinflus-
sen. Dass die Auswahlentscheidungen der Jour-
nalisten zumindest in demokratischen Ländern
in allererster Linie von deren eigenen Auffas-
sungen abhängen, ist auch hinreichend nachge-
wiesen. Der Mainzer Kommunikationswissen-
schaftler Kepplinger konnte in Experimenten
zeigen, dass Journalisten solchen Nachrichten,
die ihre eigene Auffassung stärken, einen höhe-
ren Nachrichtenwert zuschreiben als solchen,
die ihnen zuwiderlaufen – und sie dementspre-
chend auch eher auswählen.
In der Bundesrepublik haben junge Menschen
lange im Journalismus eine Alternative zur
politischen Betätigung im engeren Sinne gese-
hen. Vergleichende Studien zeigten, dass dies
Wie viel Macht haben Journalisten?
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