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„Dahinter steckt immer ein kluger Kopf.“ Mit
diesem Slogan wirbt die Frankfurter Allgemeine
Zeitung um die Gunst potenzieller Leser. Doch
welche Köpfe stecken wirklich hinter den Zei-
tungen? Und waren sie schon vorher klug oder
erst nach der Lektüre?
Fest steht zunächst einmal, dass es immer we-
niger Leser werden. Die Auflagen deutscher Ta-
geszeitungen sind im Laufe der letzten zwanzig
Jahre deutlich zurückgegangen. Und wenn sich
ein Kopf hinter einer Zeitung versteckt, dann
gehört dieser mit großer Wahrscheinlichkeit
einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe an:
Grundsätzlich gilt, dass mit steigendem Alter,
zunehmendem Bildungsgrad und höherem be-
ruflichem Status der Zeitungskonsum wächst.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Jugend-
liche mit niedriger Bildung die Zeitung kaum
nutzen. So zeigen Mediaanalysen, dass vor al-
lem regionale Tageszeitungen von nicht einmal
der Hälfte aller Jugendlichen gelesen werden.
Nimmt man den oben genannten Slogan also
wörtlich, so zeigt sich genau an dieser Stelle das
Dilemma: Kluge Köpfe lesen Zeitung und bilden
sich weiter. Damit wird ihr Wissensvorsprung
gegenüber weniger Gebildeten, die keine Zei-
tung lesen, immer größer.
Denn dass Zeitungen bilden, wenn man sie
tatsächlich liest, ist nicht nur ein Slogan, son-
dern nachgewiesen. Im Projekt ZeiLe („Zei-
tung Lesen macht Azubis fit!“) wird dies seit
mehreren Jahren mit einer großen Gruppe von
Auszubildenden analysiert. Die Ergebnisse sind
eindeutig: Nach einer einjährigen Lektürephase
weisen die Jugendlichen ein deutlich höheres
Allgemeinwissen auf. Besonders groß ist der
Wissenszuwachs in den Bereichen Politik und
Wirtschaft.
Ebenso verbessern sich Sprach- und Lesekom-
petenz. Jugendliche, die Zeitung lesen, erwei-
tern ihren Wortschatz deutlich, können besser
mit Abkürzungen umgehen und sind motivier-
ter, sich schriftlich ausführlich auszudrücken.
Der Vergleich mit einer Kontrollgruppe zeigt,
dass diese Veränderungen eindeutig auf das
regelmäßige Zeitunglesen zurückzuführen
sind. Zudem scheinen diese Effekte nachhal-
tig zu sein: Das durch die Zeitungslektüre
erworbene Wissen ist auch mehr als ein Jahr
später noch abrufbar. Neben den Lernerfolgen
zeigen sich auch Effekte auf die politische und
soziale Teilhabe. Die Jugendlichen geben nach
der Zeitungslektüre an, sich allgemein besser
informiert zu fühlen und sich mehr für poli-
tische Themen zu interessieren. Sie schätzen
ihre Lesekompetenz besser ein oder trauen sich
eher zu, politisch aktiv zu werden. Zeitungle-
sen unterstützt also nicht nur die Entwicklung
berufsrelevanter Kenntnisse, sondern auch die
Herausbildung gesellschaftlich bedeutsamer
Kompetenzen.
Umso wichtiger erscheint es, dass nicht nur die
klügsten Köpfe zur Zeitung greifen. Denn Zei-
tunglesen kann jeden bilden. Im Projekt ZeiLe
Bildet Zeitunglesen – und wenn ja, wen?
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