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Nachrichten, Talkshows, Spielfilme etc. von
Teleshopping zu unterscheiden oder in einer
Beachvolleyballübertragung Bandenwerbung
zu bemerken ist gewöhnlich nicht so schwierig.
Das zumindest zeigen Untersuchungen, in de-
nen StudienteilnehmerInnen gebeten wurden
zu signalisieren, wann immer sie Werbebot-
schaften in einem Spielfilm oder einer Serie
bemerken. So gesehen könnte man für das Pro-
blem „Trennung von Werbung und Programm“
Entwarnung geben – wenn es im Detail nicht
doch etwas komplizierter wäre.
Mindestens zwei Fragen stellen sich. Erstens:
Was bedeutet es inhaltlich, wenn Mediennut-
zer und -nutzerinnen etwas als ‚Werbung’ be-
zeichnen und was folgt daraus im Hinblick auf
Beeinflussung? Und zweitens: Lässt es sich auf
den alltäglichen Umgang mit und die Folgen
einer Programmintegration von Werbung über-
tragen, wenn Personen in Laborsituationen
Werbebotschaften und redaktionelle Teile der
Medien ähnlich gut unterscheiden können wie
Forscher in einer Inhaltsanalyse?
Die erstgenannte Frage stellt sich, da Medien
nicht einfach nur die Realität abbilden, sondern
Genres wie Nachrichten oder Werbung erst er-
zeugen oder zumindest stabilisieren und dabei
auch an allgemein verbreitete Vorstellungen
anknüpfen müssen, wenn sie wirksam sein
sollen. Was ist damit gemeint? Es gibt gesell-
schaftlich normierte und individuell gelernte
Vorstellungen von dem, was einen erwartet,
wenn öffentliche Kommunikationsmedien etwas
als ‚Programm’ oder als ‚Werbung’ darbieten.
Individuelle Mediennutzer und -nutzerinnen
wissen, wie ‚Programm’ oder ‚Werbung’ üblicher-
weise aussehen. Beide Vorstellungen haben eine
formale, eine inhaltliche und eine funktionale
Ebene: Funktional meint, dass Menschen etwa
in Form von Nachrichtensendungen vermittelte
Informationen für ‚wahr’ halten. Sie stimmen
in ihren Augen also mit der sozialen Realität
überein. Sie unterstellen bei Nachrichten zudem,
dass es sich um ein wichtiges, für viele Men-
schen relevantes Informationsangebot handelt,
und nicht, dass wie bei der Werbung ein singulä-
res Interesse Anlass der Darbietung ist.
Funktionen wie diese koppeln Mediennutzer
nicht nur an bestimmte Formate, sondern auch
konkrete Inhalte: Der Person Anne Will nimmt
man grundsätzlich eher ab, dass sie ‚Realität’
vorträgt, denn sie hat sich in der Vergangenheit
in Bezug auf die Erwartungen der Menschen an
‚Nachrichten’ bewährt. Die Tatsache, dass sie
in Werbespots nicht auftreten darf, unterstützt
dies. Allerdings kann es gut sein, dass Anne
Will eines Tages in einer Talkshow sitzt und
über Lieblingsweine oder Modemarken spricht.
Wenn sie in diesem Kontext etwas mitteilt, ist
das eine andere Aussage als in einer Nachrich-
tensendung, wo die Zuschauer Distanz, Kritik
und eine unabhängige Sicht erwarten – nicht
aber Lobhudelei. In einer Talkshow dagegen ist
eine persönliche Sichtweise oder Parteinahme
vorstellbar und zumindest solange unproblema-
tisch, wie man sie als solche kenntlich macht.
Können Zuschauer zwischen Werbung
und Programm unterscheiden?
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