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Die Antwort ist natürlich relativ: Worauf das
Publikum in der Werbung schaut, hängt von
vielen Faktoren ab. Zum Beispiel von der visu-
ellen Gestaltung der Werbung, der konkreten
Botschaft, dem Absender, dem Präsentations-
umfeld, der Rezeptionssituation und natürlich
auch vom jeweiligen Betrachter und seinen
Intentionen.
Wie andere visuelle Informationen auch wird
Werbung vom Rezipienten über sein visuelles
Wahrnehmungssystem und die damit verbun-
denen Hirnareale aufgenommen und mental
verarbeitet, wobei verschiedene, sehr komplexe
physiologische und mentale Prozesse aktiviert
werden, die sich auch wechselseitig beeinflus-
sen. Dabei werden die visuelle Wahrnehmung
und Verarbeitung einerseits durch die Eigen-
schaften der Botschaft („
stimulus-driven“
)
,
an-
dererseits aber auch durch die Eigenschaften
und Intentionen des Betrachters („
goal-driven“
)
geprägt. Zudem beeinflusst auch die jeweilige
Situation, wie Rezipienten die Werbebotschaft
wahrnehmen.
In einem berühmten Experiment konnte Alf-
red Yarbus beispielsweise zeigen, dass derselbe
Betrachter dasselbe Bild ganz unterschiedlich
anschaut – je nachdem, welches Ziel er mit der
Betrachtung verfolgt. In vielen Situationen,
insbesondere bei nur flüchtiger Betrachtung
(wie dies gerade für Werbung typisch ist), kann
der Betrachtungsverlauf aber auch stark durch
das Bild und dessen Gestaltung gelenkt werden:
Gerade grelle und bunte Farben, übergroße Ob-
jekte, überraschende Reize und ungewöhnliche
Kombinationen sowie laute Geräusche oder
plötzliche, dynamische Bewegungen im Werbe-
spot ziehen den Blick des Betrachters an. Auch
biologisch programmierte Reiz-Reaktions-Mus-
ter wie etwa das Kindchen- oder Sex-Schema
oder auch die oft evolutionsbiologisch begrün-
dete Attraktivität von Gesichtern (und hier be-
sonders Augen und Mund) binden die visuelle
Aufmerksamkeit. Auf derartige Bild-Elemente
reagieren auch sehr unterschiedliche Men-
schen in ähnlicher Weise. Entwicklungspsy-
chologische Untersuchungen legen nahe, dass
grundlegende Muster der Bildrezeption auf
Kompetenzen basieren, die auf die natürliche
Umweltwahrnehmung zurück gehen. Es ist also
plausibel anzunehmen, dass wir Dinge, die in
unserer natürlichen Umwelterfahrung für uns
einen hohen (visuellen) Aufmerksamkeitswert
haben, auch in der Werbung von uns besonders
schnell und intensiv betrachtet werden.
Dies gilt nicht nur für einzelne Bildbereiche,
sondern auch tendenziell für Bilder an sich:
Durch ihre Anschaulichkeit und vermeintli-
che Wirklichkeitstreue erzielen Bilder eine
hohe visuelle Aufmerksamkeit. Sie sind für
den Betrachter zudem relativ schnell und na-
hezu mühelos zu entschlüsseln. Zahlreiche
Blickverlaufsstudien zeigen entsprechend,
dass Menschen in vielen Situationen Bilder
Textinformationen vorziehen. Dass Bilder
Worauf schaut das Publikum
in der Werbung?
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