38
In der Bundesrepublik Deutschland wurden mit
der Wiederherstellung der Demokratie nach
1945 Wahlkämpfe zu zentralen Ereignissen des
politischen Lebens. Eine entscheidende Rolle
für die öffentliche Vermittlung dieser Wahl-
kämpfe fiel den Massenmedien zu. Entgegen
ihrer großen politischen Relevanz hat sich die
deutsche Publizistikwissenschaft jedoch nur
zögerlich mit Wahlkampfberichterstattung der
Massenmedien befasst. Erst Jahrzehnte nach
der berühmten US-amerikanischen Erie-County
Studie, die 1940 den Beginn der kommunikati-
onswissenschaftlichen Wahlforschung markier-
te, nahm sich die deutsche Forschung des The-
mas an. Vereinzelte erste Studien untersuchten
die Bundestagswahlen der 1960er Jahre. Doch
es dauerte bis 1982, dass die Fachgesellschaft
DGPuK eine Jahrestagung demThema Massen-
medien und Wahlen widmete.
Erst nachträglich ist die Wahlkampfberichter-
stattung von der ersten Bundestagswahl 1949 an
untersucht worden, und zwar zunächst anhand
der Presse. Dabei zeigten sich einige wenige li-
neare Trends – etwa dass immer mehr subjektiv
gefärbte Darstellungsformen verwendet wurden
oder dass die Kandidaten selbst immer weniger
im O-Ton zu Wort kamen. Diese wurden zudem
meistens negativ bewertet. Insgesamt hing die
Wahlkampfberichterstattung immer auch von
situativen Faktoren ab, von den jeweils aktuellen
Themen, von der Kandidatenkonstellation, auch
vom Spannungsgehalt der Wahl bzw. von dem zu
erwartenden Wahlausgang.
Einen ersten Höhepunkt der deutschen Wahl-
forschung löste die Bundestagswahl 1972 aus.
Zum einen, weil diese Wahl politisch hoch
polarisiert war, zum anderen, weil inzwischen
das Fernsehen zum Leitmedium geworden war.
Schon bei der Bundestagswahl 1965 hatte Eli-
sabeth Noelle-Neumann mit Blick auf die TV-
Berichterstattung einen Effekt diagnostiziert,
der seither als Theorie der Schweigespirale
diskutiert wird. Die Theorie besagt, dass Men-
schen dazu neigen, ihre Meinung öffentlich zu
verschweigen, wenn sie sich in der Minderheit
fühlen, ein Eindruck, der durch die direkte Be-
obachtung und die Massenmedien vermittelt
wird. Als entscheidend für einen „last minute
swing“ in den Wahlentscheidungen erwiesen
sich die Erwartungen darüber, wer die Wahl
gewinnt. In diesem Sinne haben Forscher für
den Wahlerfolg der SPD im Jahr 1972 in erster
Linie den SPD-freundlichen Medientenor des
öffentlich-rechtlichen Fernsehens verantwort-
lich gemacht. Einen ähnlichen Zusammenhang
diagnostizierten sie 1976, als Helmut Kohl mit
der CDU/CSU die absolute Mehrheit knapp ver-
fehlte. Dazu wurden nicht nur die TV-Inhalte
untersucht, sondern auch die TV-spezifischen
Präsentationsformen. Die These, dass das Fern-
Wie hat sich die Berichterstattung
über Wahlkämpfe in Deutschland
in den letzten 50 Jahren entwickelt?
14
1...,28,29,30,31,32,33,34,35,36,37 39,40,41,42,43,44,45,46,47,48,...132