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Die Überraschung am Abend der Bundestags-
wahl 2005 war groß: Die CDU/CSU lag nur
knapp vor der SPD, obwohl sie wochenlang in
sämtlichen Umfragen klar geführt hatte. Wenn
Wahlergebnisse so weit von den Prognosen
abweichen, sind Umfrageinstitute schnell dem
Vorwurf ausgesetzt, sie verstünden ihr Hand-
werk nicht, betrieben „Kaffeesatzleserei“ oder
manipulierten die Ergebnisse zugunsten be-
stimmter Parteien. Häufig beruht dies auf dem
Missverständnis, Umfrageergebnisse seien mit
Wahlergebnissen gleichzusetzen. Dabei handelt
es sich nur um Vorhersagen, ähnlich dem Wet-
terbericht. Die zugrundeliegende Sonntagsfrage
(„Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag
Bundestagswahlen wären?“) fragt nämlich nicht
nach tatsächlichem Wahlverhalten, sondern
nach Wahlabsichten, die sich bis zum Wahltag
noch ändern können.
Die Messungen, auf denen die Prognosen
basieren, können zudem aus vielen Gründen
falsche Schlüsse nahelegen, selbst wenn die
Umfrageinstitute alle Regeln der Kunst befol-
gen. Weil es zu teuer und zeitaufwändig wäre,
alle Wahlberechtigten zu kontaktieren, werden
typischerweise zwischen 1000 und 2000 Perso-
nen befragt. Um von dieser Stichprobe auf die
Wahlabsichten aller Wahlberechtigten schlie-
ßen zu können, muss sie repräsentativ für die
Wahlbevölkerung sein. Das heißt, die Befrag-
ten müssen zufällig ausgewählt werden: Jeder
Wahlberechtigte muss dieselbe Chance haben,
befragt zu werden, damit Merkmale, die sich
auf die Wahlentscheidung auswirken können –
etwa Geschlecht, Alter und Parteineigung – in
Stichprobe und Wahlbevölkerung zu gleichen
Anteilen vorkommen.
Bei einer echten Zufallsauswahl hat das Um-
frageinstitut keinen Einfluss darauf, wer
befragt wird. Zufällige Fehler – etwa dass
überdurchschnittlich viele Wähler einer be-
stimmten Partei befragt werden oder Befragte
die Frage falsch verstehen – gleichen sich bei
1000 Befragten weitgehend aus. Eine gewisse
Fehlerspanne, die dennoch bleibt, lässt sich
mittels Wahrscheinlichkeitsrechnung schätzen
und nachträglich korrigieren.
Jedoch: Eine echte Zufallsauswahl ist un-
möglich, weil nie alle kontaktierten Personen
an Wahlumfragen teilnehmen. Bei manchen
Umfragen sind sogar über 50 Prozent nicht
erreichbar oder wollen nicht mitmachen. Wenn
dies vor allem die Wähler bestimmter Parteien
sind, wird deren Stimmenanteil unterschätzt.
Solche Verzerrungen wiegen schwerer als die
zufälligen Fehler. Denn ihr Ausmaß kann man
nicht berechnen, weil man nicht weiß, welche
Wählergruppen überdurchschnittlich oft nicht
an Umfragen teilnehmen.
Warum weichen Wahlergebnisse
manchmal weit von den Prognosen
der Umfrageinstitute ab?
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