28
Öffentlichkeit ist ursprünglich ein natio
nalstaatliches Konzept. In Demokratien hat
Öffentlichkeit die Aufgabe, Politik und Bürger
miteinander zu verbinden. Sie ist die Platt-
form, auf der über politische Themen und
Positionen diskutiert werden kann. In Massen-
demokratien findet Öffentlichkeit primär über
Massenmedien statt. Mit der Gründung der
Europäischen Union und der fortschreitenden
europäischen Integration stellt sich die Frage,
ob sich Öffentlichkeit an diese neue, europäi-
sche Realität anpasst.
Öffentlichkeit ist für das weitere Zusammen-
wachsen Europas in zweifacher Hinsicht rele-
vant: Zum einen hängt die Qualität europäi-
scher Demokratie(n) nicht nur von politischen
Institutionen wie dem Europäischen Parlament
oder der EU-Kommission ab, sondern ebenso
stark vom Funktionieren einer öffentlichen
Auseinandersetzung über europäische Themen.
Zum anderen zeigt die Forschung, dass genau
dort, wo es kaum direkte Erfahrung mit Politik
gibt – wie im Fall der Europäischen Union –
massenmediale Debatten Potenzial haben, die
Einstellungen der Bürger zu prägen. Das Entste-
hen eines öffentlichen Meinungsklimas zu Euro-
pa ist für die Politik von wachsender Bedeutung,
kann sie doch nicht mehr auf die stillschweigen-
de Unterstützung der Bürger für Europa bauen.
Doch was versteht man nun unter europäischer
Öffentlichkeit? Grob zusammengefasst lassen
sich zwei Konzepte unterscheiden:
Erstens die Vorstellung einer
länder
übergreifenden europäischen Öffentlichkeit
, die
getragen wird durch europäische Medien.
Sprachunterschiede zwischen den EU-Ländern
und -Bürgern, national verwurzelte Medien
und EU-Politiker, die national gewählt
werden, lassen diese Form der Öffentlichkeit
aber für absehbare Zeit unwahrscheinlich er-
scheinen.
Folglich beschäftigt sich heute der Hauptstrang
der Forschung mit dem zweiten Modell, der
Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten
, mit
der Frage also, ob sich die Berichterstattung
und Kommentierung nationaler Medien euro-
päisiert. Messen kann man das beispielsweise,
indem man prüft, ob in unterschiedlichen Län-
dern gleiche Themen zur gleichen Zeit in ähn-
licher Weise diskutiert werden. Zudem unter-
suchen Forscher, wie viele Akteure aus anderen
EU-Ländern in nationalen Debatten auftreten,
wie sichtbar die EU selbst und ihre Politiken
dort sind oder ob Brüssel bzw. die anderen EU-
Länder lediglich als Sündenböcke fungieren.
Gibt es nun eine europäische Öffentlichkeit? So
gestellt lässt sich diese Frage mit einem klaren
Nein beantworten: Eine einheitliche länderü-
bergreifende Öffentlichkeit gibt es in Europa
nicht. Hingegen gibt es eine Vielzahl nationaler
Öffentlichkeiten, die sich unter bestimmten
Bedingungen mehr oder weniger europäisieren.
Die wichtigsten Befunde der Forschung lauten:
Gibt es eine europäische
Öffentlichkeit?
10