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Eine politische Öffentlichkeit, in der man sich
über gesellschaftlich wichtige Themen infor-
mieren und verständigen kann, gilt als zentral
für die Legitimation und das Funktionieren
einer Demokratie. Sie ermöglicht die Teilhabe
aller Bürgerinnen und Bürger am politischen
Meinungsbildungsprozess, und sei es nur vom
Fernsehsessel aus. Aber kann sich das politi-
sche System der BRD heute, über zwanzig Jahre
nach der Wiedervereinigung, auf eine gemein-
same deutsch-deutsche Öffentlichkeit stützen?
Wenn wir die politischen Informationsmedien
in Deutschland als Hauptträger der Öffent-
lichkeit betrachten, dann zeigt sich, dass diese
von Ost- und Westdeutschen unterschiedlich
genutzt werden. Westdeutsche überregiona-
le Qualitätszeitungen wie die „Frankfurter
Allgemeine“ oder die „Süddeutsche Zeitung“
konnten in den neuen Bundesländern kaum
Leserinnen und Leser gewinnen. Und anders
als im Westen ist im Osten nicht die ARD-
„Tagesschau“ Marktführer unter den Fern-
sehnachrichten, sondern „RTL aktuell“, dicht
gefolgt von den Regionalnachrichten. Dies
erklärt sich nur zum Teil durch die Medienso-
zialisation: Zwar macht es einen Unterschied,
welche Medien die Eltern genutzt haben und
ob Menschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk
mit Staats- oder mit Qualitätsfernsehen assozi-
ieren. Weitaus stärker ist das Mediennutzungs-
verhalten jedoch von tatsächlichen und gefühl-
ten sozialen Ungleichheiten geprägt: In Ost
und West wenden sich Menschen in schlechten
sozialen Lagen weniger den Qualitätsmedien zu
und bevorzugen unterhaltende Medieninhalte.
Der Anteil sozial schlecht gestellter Menschen
ist aber im Osten größer – und damit auch der
Anteil derer, die sich einer Teilnahme an der
politischen Öffentlichkeit verweigern und keine
politischen Informationsmedien nutzen.
Zu einer deutsch-deutschen Öffentlichkeit
tragen die Medien dennoch bei. Denn in den
unterschiedlich genutzten Medien werden
überwiegend dieselben Probleme behandelt:
Themen wie Betreuungsgeld, Finanzkrise oder
der Guttenberg-Rücktritt werden in unter-
schiedlichen Medien in Ost und West meist
gleichzeitig und gleichermaßen diskutiert.
Schließlich operieren alle deutschen Medien
im Rahmen desselben politischen Systems, re-
agieren auf ähnliche Ereignisse und verwenden
– häufig schon aus Kostengründen – dasselbe
Agenturmaterial. Letzteres gilt besonders für
die ostdeutsche Regionalpresse. Im Vergleich
dazu haben sich die Regionalzeitungen im Wes-
ten mehr Eigenständigkeit in der Themenwahl
bewahrt. Anders ausgedrückt müsste man sich
also mehr Sorgen um die Integration der süd-
deutschen Provinz in die bundesdeutsche Ge-
samtöffentlichkeit machen.
Auffällig ist aber, dass überregionale Medien
seltener für ostdeutsche Menschen besonders
relevante Themen aufgreifen, als es deren
Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht.
Gibt es eine deutsch-deutsche
Öffentlichkeit?
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