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Tageszeitungen haben seit zwei Jahrzehnten
ein Problem: 1992 wurden in Deutschland 26
Millionen Exemplare verkauft, 20 Jahre danach
noch 18 Millionen. In den 20 Jahren davor hat-
te sich die Auflage kaum verändert. Anfang der
90er Jahre lasen noch weit über 80 Prozent der
Bevölkerung die Zeitung, 2012 noch 67 Pro-
zent. Bei den Jugendlichen liegt die Reichweite
noch bei einem Drittel, bei den Erwachsenen
unter 30 Jahren bei der Hälfte.
Die gedruckte Tageszeitung gehört zwar für die
meisten Menschen zum Alltag dazu. Doch der
rückläufige Trend ist so eindeutig, dass sich die
berechtigte Frage stellt, wie lange das noch so
sein wird. Prognosen sind darauf angewiesen,
lang anhaltende Trends in die Zukunft zu ver-
längern. Wertet man die Auflagenzahlen der
letzten 20 Jahre statistisch aus, dann ergibt
sich eine Trendlinie: Fast alle Werte liegen
genau auf einer Kurve, die sich immer stärker
senkt. Die Verlängerung der Kurve sagt uns vo-
raus: 2022 werden täglich noch ca. elf Millionen
Exemplare verkauft – und 2034 durchbricht die
Kurve die Nulllinie.
Die Wochenzeitung ist dagegen beliebt: „Die
Zeit“ oder die „F.A.Z. Sonntagszeitung“ ver-
kaufen Höchstauflagen. Einige Verlage in der
Schweiz, in Großbritannien und in den USA
drucken die Zeitung deshalb nur noch wöchent-
lich und verbreiten aktuelle Nachrichten im
Internet. In anderen westlichen Ländern wie
den USA oder Großbritannien ist der Nieder-
gang der täglichen Zeitungsauflage weit dra-
matischer und hat schon heute zu einem Zei-
tungssterben geführt. In Deutschland dagegen
gibt es traditionell eine starke Bindung durch
das Abonnement. Empirische Studien zeigen,
dass die „Newspaper Loyalty“ – also die Verlän-
gerung eines Abonnements statt einer Kündi-
gung – kaum von der Qualität redaktioneller
Inhalte beeinflusst wird, sondern von vielen
anderen Faktoren. Das mag für Journalisten
enttäuschend sein. In wirtschaftlich gesunden
und wachsenden Regionen zum Beispiel bleibt
die Zeitungsauflage länger stabil als in stag-
nierenden Gegenden oder solchen mit hoher
Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Während
Redaktionen in erst genannten Regionen nicht
viel falsch machen können, um die Auflage zu
halten, ist der Kampf ihrer Kolleginnen und
Kollegen in den strukturschwachen Regionen
nahezu aussichtslos.
Wesentlicher Faktor des Auflagenrückgangs
ist mittlerweile die Abwanderung von Lesern
und Anzeigenkunden ins Internet, was Studien
belegen. Das Internet bietet als so genanntes
Konvergenzmedium eine Plattform für alle
möglichen medialen Formen von Texten bis zu
Videos. Es bedroht damit alle herkömmlichen
Verbreitungswege. Auch andere Faktoren set-
zen die Tageszeitung unter Druck: eine gerin-
gere Ortsbindung und höhere Mobilität vieler
Menschen, die Zunahme von Single-Haushalten
oder individualisierte Lebensstile.
Wird es bald keine gedruckten
Tageszeitungen mehr geben?
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