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Im Dezember 1984 havarierte ein Chemiewerk
des Unternehmens Union Carbide im indischen
Bhopal. Die austretende Giftgaswolke kostete
über 3000 Menschen das Leben. Am 11. Sep-
tember 2001 erschütterten die Terroranschläge
auf das New Yorker World Trade Center die
Welt. Die Kriege in Afghanistan und im Irak
waren die Folge. Im April 2010 lösten Explo-
sionen auf der Ölbohrplattform Deepwater
Horizon des BP-Konzerns eine der größten von
Menschen verursachten Umweltkatastrophen
aus. 2011 wurde die Weltöffentlichkeit Zeuge
eines Tsunamis in Japan und der verzweifelten
Versuche der Regierung und des Betreiberunter-
nehmens Tepco, eine Kernschmelze in mehreren
Atomreaktoren in Fukushima zu verhindern.
Gemeinsam haben diese Ereignisse, dass sie
von Wissenschaftlern und der Gesellschaft als
Krisen bezeichnet werden. Je nach Ausmaß der
Krise ist landesweite und zuweilen weltweite
Aufmerksamkeit die Folge. Medien berichten
darüber, Politiker debattieren über mögliche
Lösungen, betroffene Unternehmen beziehen
öffentlich Stellung und in der Bevölkerung wer-
den Krisen zum Gesprächsthema, sei es zu Hau-
se, am Arbeitsplatz oder im Internet.
Kommunikation scheint im Krisenfall also eine
zentrale Rolle zu spielen. Tatsächlich legt eine
Vielzahl von Studien nahe, dass Krisen in ihrem
Verlauf erheblich von Kommunikation beein-
flusst, manchmal sogar durch Kommunikation
ausgelöst oder verhindert werden. Genau damit
befasst sich die Kommunikationswissenschaft
unter dem Stichwort Krisenkommunikation
seit Mitte der 1990er Jahre. Untersucht wer-
den Unternehmenskrisen, Naturkatastrophen,
Terroranschläge, Pandemien und Kriege. Dabei
geht es darum, wie betroffene Organisationen
in Politik und Wirtschaft öffentlich mit Krisen
umgehen, welchen Einfluss die Medienbericht-
erstattung auf den Verlauf von Krisen hat und
wie Opfer bzw. die Bevölkerung das Kommuni-
kationsmanagement der Organisationen und
die Berichterstattung über Krisen wahrnehmen.
Zudem wird erforscht, inwiefern emotionale
Bilder und Medienberichterstattung über Kri-
sengebiete politische Entscheidungsträger zum
Handeln, etwa zu militärischen Interventionen
bewegen – und auch inwiefern die Medien als
Sprachrohr von Regierungen missbraucht wer-
den, um Kriege zu rechtfertigen.
Die Analyse der Berichterstattung über den
Irakkrieg hat beispielsweise gezeigt, dass selbst
Regierungen in demokratischen Gesellschaften
sehr gezielt und oft erfolgreich die Berichter-
stattung beeinflussen und in Kriegssituationen
beim Publikum dadurch sogar beliebter werden
können. Andere Studien belegen, dass die Me-
dienberichterstattung über Kriege nicht nur in
den USA, sondern auch in Deutschland meist
die Positionen der nationalen Regierungspolitik
widerspiegelt.
Im Rahmen von Naturkatastrophen spielt die
Verbreitung von Information durch verantwort-
Beeinflusst Kommunikation
den Verlauf von Krisen und Kriegen?
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