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Die Auseinandersetzung mit der nationalso-
zialistischen Herrschaft war nach 1945 ein
brisantes Element in der Entwicklung der Bun-
desrepublik Deutschland. Die im Dritten Reich
vor allem an den Juden begangenen ungeheu-
erlichen Verbrechen warfen nicht nur die Frage
nach den Schuldigen auf, sondern auch danach,
was die Menschen davon gewusst hatten. Und
warum hatten so wenige etwas dagegen unter-
nommen? Dabei ist bis in die jüngste Zeit im-
mer wieder behauptet worden, die Deutschen
hätten die NS-Vergangenheit verdrängt und
seien einer moralisch angemessenen „Vergan-
genheitsbewältigung“ ausgewichen. Alexander
und Margarete Mitscherlich sprachen von einer
„Unfähigkeit zu trauern“.
Auch in der Publizistikwissenschaft hat man
sich – ebenso wie in der Geschichtswissenschaft
– mit diesemThema befasst. Dabei belegen
die Untersuchungen, dass die Vergangen-
heitsbewältigung im Nachkriegs-Deutschland
durchaus schon sehr früh begann und sich im
Laufe der folgenden Jahrzehnte fortsetzte.
Zunächst geschah dies allerdings noch unter
dem Druck der alliierten Besatzungsmächte. Sie
konfrontierten die Deutschen mit Filmen aus
den Vernichtungslagern. Ebenfalls auf alliierte
Veranlassung hin musste umfangreich über den
Nürnberger Prozess berichtet werden, in dem
die Hauptkriegsverbrecher 1945/46 vor Gericht
standen. Sowohl die neuen deutschen Zeitun-
gen als auch das Radio waren dort durch eigene
Korrespondenten vertreten. Von einer „Kollek-
tivschuld“ wollte man allerdings nichts wissen.
Auch später stellten NS-Prozesse wichtige Er-
eignisse in der Berichterstattung dar, beispiels-
weise der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958.
Höhepunkte bildeten der Eichmann-Prozess in
Jerusalem 1961/62 und der Auschwitz-Prozess
in Frankfurt von 1963 bis 1965. Beide fanden
in den deutschen Medien große Resonanz. Wie
sich in einer vergleichenden Untersuchung
zeigte, standen in der deutschen Berichter-
stattung eher die Täter im Vordergrund, in der
israelischen eher die Opfer. Weitere Berichter-
stattungsanlässe boten die Debatten über die
Verjährung der nationalsozialistischen Verbre-
chen. In einem der letzten NS-Prozesses war in
Deutschland von 2009 bis 2011 der gebürtige
Ukrainer John (Iwan) Demjanjuk angeklagt,
gegen den schon 1987/88 in Israel ein Strafver-
fahren geführt worden war. Auch darüber wur-
de in den deutschen Medien berichtet – wenn
auch zumeist weniger umfangreich.
Fand die „Vergangenheitsbewältigung“ zu-
nächst primär in Presse, Radio, Filmen und Bü-
chern statt, so nahmen seit Anfang der 1960er
Jahre Beiträge zur NS-Vergangenheit auch im
Fernsehen zu. Dies geschah nicht nur bei Ge-
Was haben Medien zur Bewältigung
der nationalsozialistischen
Vergangenheit beigetragen?
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